Die Zeitungen berichten in den letzten Monaten nahezu täglich über Prozesse, in deren Mittelpunkt die Oppenheim-Esch-Fonds stehen. Die 4 Gesellschafter des inzwischen von der Deutschen Bank übernommenen Bankhauses Oppenheim sind wegen Untreue angeklagt. Ihrem Geschäftspartner, dem schillernden Bauunternehmer Esch werfen die Ankläger Anstiftung und Beihilfe zur Untreue vor. Den einstmals hochangesehenen Angeklagten der Bank drohen mehrjährige Freiheitsstrafen.
Die Hintergründe für diesen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte wohl einmaligen Fall haben die WDR-Autoren Ingolf Gritschneder und Georg Wellmann von 2005 bis heute in inzwischen sieben Beiträgen der Sendereihe die story aufgedeckt. Esch und das Bankhaus Oppenheim hatten mit hohen Renditen nahezu den gesamten deutschen Geldadel als Investoren für den Fonds gewonnen.
In der story Milliarden-Monopoly III – Neue Spuren im Kölner Messeskandal wurde zum ersten Mal der Verdacht geäußert, dass bei einem der Fonds, der zum Bau der Kölner Messe aufgelegt worden war, Korruption im Spiel war. Ein Verdacht, der mit vielen Dokumenten und Zeugenaussagen gestützt wurde, der aber nicht in allen Einzelheiten zu beweisen war. Die Autoren mussten also besonders sorgfältig recherchieren, mussten jede Aussage, jedes Dokument gegenrecherchieren, neben Belastendem auch Entlastendes berücksichtigen, um sich gegen den Vorwurf einer Vorverurteilung zu wappnen. Sie mussten, um es auf den Punkt zu bringen, die Regeln der Verdachtsberichterstattung – insbesondere bei der Schwere des Verdachts – penibel beachten. In diesem Workshop wird am Beispiel des Filmanfangs gezeigt, wie die Autoren die story und den Verdacht aufbauen, dem sie nachgehen wollen.
Siehe auch den folgenden Workshop von 14.15 – 15.15 , der auf diesen aufbaut:
Gegen die story Milliarden-Monopoly III – Neue Spuren im Kölner Messeskandal, in der der Verdacht geäußert wurde, dass bei dem Oppenheim-Esch-Fonds zum Bau der Kölner Messehallen Korruption im Spiel war, wurde schon während der Recherche versucht, juristisch vorzugehen, um die Sendung zu verhindern. Diese Angriffe konnten abgewehrt und die Fernsehdokumentation ausgestrahlt werden.
Nach der Sendung wurden insgesamt 9 Klagen gegen den Beitrag erhoben, die sich insbesondere gegen den Vorwurf der Korruption richteten. Dieser Vorwurf wird von einem Experten in einem Interview der Dokumentation erhoben, die im Mittelpunkt des Workshops steht. An dieser Sequenz soll beispielhaft dargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen ein so gravierender Vorwurf im Beitrag erhoben und zugleich so eingebettet werden kann, dass er vor Gericht Bestand hat. Bei den anschließenden Gerichtsverfahren stand im Mittelpunkt der Verhandlungen, ob die Regeln der Verdachtsberichterstattung eingehalten worden waren.
Der Unterschied sollte eigentlich jedem Journalisten klar sein: Tatsachenbehauptungen müssen objektiv richtig sein, müssen belegt werden und beweisbar sein. Meinungsäußerungen sind subjektiv, kommentierend und geben eine Einschätzung wieder. Was wir also nicht belegen können, sollten wir auch nicht behaupten. Haben wir einen Verdacht, sollten wir klar machen, dass es ein Verdacht ist und vorsichtig formulieren.
Der Grund: Die Tatsachenbehauptung kann vor Gericht auf ihre Richtigkeit überprüft werden und, wenn sie falsch ist, drohen Klagen auf Unterlassung der Formulierung, auf Gegendarstellung, auf Widerruf und möglicherweise sogar auf Schadenersatz. Während die Meinungsäußerung nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann, weil es ja eine subjektive Einschätzung ist und diese durch die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit geschützt ist.
Doch der Teufel steckt im Detail. Natürlich sind z.B. Beleidigungen oder üble Nachrede und erst recht nicht die sogenannte „Schmähkritik“ durch die Meinungsfreiheit geschützt. Und: Auch eine Einschätzung kann einen Tatsachenkern enthalten, der auf seine Richtigkeit überprüft werden kann.
Die beiden Referenten werden an konkreten Beispielen aus der Praxis die oft schwierigen Abgrenzungen zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerungen mit den Teilnehmern erarbeiten.
Der Journalist Heribert Schwan (70) führte in den Jahren 2001 und 2002 an mehr an 100 Tagen Gespräche mit Ex-Kanzler Helmut Kohl, die ca. 630 Stunden lang auf Tonband aufgezeichnet wurden. Sie waren die Grundlage für die große Kohl-Biografie, die Heribert Schwan als Auftragsschreiber von Kohl schrieb und deren erste drei Bände auch erschienen sind. Über den geplanten vierten Band kam es 2009 zum Zerwürfnis zwischen dem Politiker und seinem Ghostwriter.
Kohl forderte die Tonaufzeichnungen von Schwan zurück, musste schließlich um die Herausgabe sogar vor Gericht streiten. Er bekam die Tonbänder im Sommer 2014 auch zugesprochen, in denen er sich u.a. freimütig über viele politische Mitstreiter während seiner Kanzlerschaft ausließ. Die Inhalte beanspruchte allerdings weiterhin der ehemalige Kohl-Biograf Heribert Schwan u.a. mit dem Argument, er habe sich die Gespräche mit vielen Vorbereitungen erarbeitet und verwendete sie in seinem 2014 erschienen Buch “Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“. Auf 256 Seiten sind die z.T. drastischen Formulierungen des Altkanzlers über seine Politiker-Kollegen und –Kolleginnen jetzt nachzulesen.
Die Anwälte Helmut Kohls bezeichneten dies als „einen unglaublichen Rechtsbruch, als einen Diebstahl geistigen Eigentums". Während Heribert Schwan und seine Rechtsvertreter darauf beharrten, die Aussagen Kohls seien von überragendem öffentlichem Interesse und könnten deshalb veröffentlicht werden.
Das Oberlandesgericht Köln verurteilte Schwan zur Herausgabe der Tonbänder. Dagegen hat der Autor Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt.
Das Landgericht Köln entschied in einem 2.Verfahren, dass insgesamt 115 Zitate Kohls in dem Buch geschwärzt werden müssten. Tendenz: Schwan sei als Kohls Ghostwriter zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen, die er mit der Veröffentlichung des Buches gebrochen habe. Dagegen ist der Heyne-Verlag beim OLG Köln in Berufung gegangen.
Darf ein Ghostwriter alles, was er beim Schreibprozess vertraulich erfährt, anschließend in einem eigenen Buch publizieren? Kann er sich dabei auf das öffentliche Interesse an Äußerungen des Altkanzlers als einer absoluten Person der Zeitgeschichte berufen? Über die rechtlichen, aber auch über moralische und medienethische Frage führen Hans Leyendecker und Heribert Schwan ein Streitgespräch.
Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit: wenn in einem Bericht Kritik geäußert wird oder gar schwere Vorwürfe erhoben werden, muss den Kritisierten Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Diese Anfrage ist natürlich auch ein Teil der notwendigen Gegenrecherche, denn nicht jede Kritik stellt sich im Nachhinein als haltbar heraus. Wer dies nicht beherzigt, der verstößt nicht nur gegen die journalistische Sorgfaltspflicht, sondern muss damit rechnen, dass der Kritisierte gegen seinen Beitrag klagt und das mit großer Aussicht auf Erfolg.
Was aber tun, wenn der im Beitrag kritisierte Verantwortliche oder etwa eine angegriffene Institution oder Firma auf die Bitte um eine Stellungnahme gar nicht reagiert? Oder das Gespräch von Bedingungen abhängig macht, die für eine faire Berichterstattung nicht akzeptabel sind? Wie reagieren, wenn die von der Gegenseite flugs eingeschalteten Presseanwälte Nachfragen zu dem erbetenen Interview erkennbar nur mit dem Ziel stellen, Material an die Hand zu bekommen, mit dem sie den geplanten Beitrag verhindern können? Das sind Erfahrungen, mit denen sich Journalisten in den letzten Jahren immer häufiger auseinandersetzen müssen.
Die Referenten erläutern an praktischen Beispielen, was beim Bemühen, auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, journalistisch angemessen und juristisch notwendig ist
Das Persönlichkeitsrecht ist ein aus der Verfassung, Art. 2, abgeleitetes Rechtsgut von hohem Rang. Niemand darf ohne seine Einwilligung mit seinem Namen oder mit einem Foto in die Öffentlichkeit gezerrt werden, soweit er dazu nicht Veranlassung gegeben hat.
Über sogenannte Personen der Zeitgeschichte, z.B. aktive Politiker, bekannte Künstler und prominente Schauspieler, kann in der Regel auch ohne deren Einwilligung berichtet werden. Sie müssen es hinnehmen, fotografiert oder gefilmt zu werden. Allerdings muss die Berichterstattung grundsätzlich im Zusammenhang mit ihrer Funktion stehen, d.h. reine private „Paparazzi-Bilder“ sind auch hier unzulässig.
Zu Personen der Zeitgeschichte können aber auch nichtprominente Personen werden, auch wenn sie nur vorübergehend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, wie z.B. Straftäter direkt nach ihrer Tat und während des Prozesses.
Doch auch diese Unterscheidung ist nur eine Faustregel, es ist immer auch eine Frage der Abwägung im Einzelfall. Was wiegt mehr? Das Persönlichkeitsrecht des einzelnen oder der Anspruch der Öffentlichkeit auf Information?
In jedem Fall sollten wir genauer hinschauen, ob es überhaupt journalistisch notwendig ist, z.B. einen möglichen Verdächtigen für alle Welt identifizierbar abzubilden oder zu benennen? Oder ob es genügt, seine Funktion im Zusammenhang mit dem geschilderten Sachverhalt zu schildern, sein Gesicht auf einem Foto unkenntlich zu machen und nur den ersten Buchstaben seines Nachnamens bekannt zu geben.
Die Referenten werden diese schwierige Güterabwägung an konkreten Fällen aus ihrer Praxis exemplarisch darstellen.Informanten machen u.U. auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, die sonst vielleicht nie bekannt würden. Um keine persönlichen oder beruflichen Nachteile zu erfahren, möchten sie nicht selten anonym bleiben. Wenn Informanten ausdrücklich auf Anonymität bestehen, müssen wir als Journalisten diese auch unter allen Umständen gewährleisten. Als Journalisten steht uns deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, ein Privileg, das u.a. auch Seelsorger, Rechtsanwälte, Ärzte und Therapeuten haben. Diese Berufsgruppen können selbst vor Gericht nicht dazu gezwungen werden, über das auszusagen, was ihnen die Patienten, Klienten und eben auch die Informanten unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut haben. Journalisten haben dieses Privileg, weil der Informantenschutz und das Zeugnisverweigerungsrecht viele Berichte im allgemeinen öffentlichen Interesse überhaupt erst möglich machen.
Wie überprüft man die Glaubwürdigkeit eines Informanten und die Motive für sein Handeln? Wie kann man gewährleisten, dass der Informant nicht enttarnt wird? Schützt das Zeugnisverweigerungsrecht wirklich alles, was der Informant berichtet oder gibt es da auch Grenzen?
Die Referenten erarbeiten mit den Teilnehmern die juristischen Voraussetzungen und die praktische Anwendung des Zeugnisverweigerungsrechts.