Mann und Frau lassen sich scheiden, streiten ums gemeinsame Kind. Der Kampf geht so weit, dass die Mutter irgendwann in Untersuchungshaft landet, der Vater wirft ihr sexuellen Missbrauch des Kindes vor. Vor Gericht bleibt davon nichts übrig. Rainer Stadler hat den Sorgerechtsstreit recherchiert und ist dabei auf viele Merkwürdigkeiten im Handeln von Justiz, Behörden und Gutachtern gestoßen, und auf zweifelhafte Zeugenaussagen. Er kritisiert ein massiv einseitiges Agieren zulasten der Mutter, schreibt zwei Artikel fürs SZ-Magazin. Obwohl Stadler alle Personen anonymisiert und Details verfremdet, verbietet das Landgericht Hamburg die Verbreitung des zweiten Textes: unerlaubter Eingriff in die Privatsphäre. Für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sei nicht entscheidend, ob der Durchschnittsleser die beschriebenen Personen identifizieren könne. Es genüge schon, wenn jene Leser die Personen erkennen könnten, die „aufgrund ihrer sonstigen Kenntnis in der Lage sind, die Person zu identifizieren“. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie weit dürfen Journalisten im Familienleben recherchieren? Wie sehr müssen Personen verfremdet werden? Was tun, wenn Insider im Internet die Identität der Personen enthüllen? Wann rechtfertigen fragwürdige Vorgänge in der Justiz den journalistischen Eingriff in die Privatsphäre einer Familie? Worunter leidet ein Kind mehr: Unter der Aufdeckung eines möglichen Justizirrtums, oder unter dem Justizirrtum selbst?
Weiterführende Links:
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"Das darf nicht wahr sein - Das Hamburger Landgericht verbietet einen Text über mögliche Justizirrtümer und bedroht so die Pressefreiheit" (Alina Fichter)
- "Eine Frage von Details" (René Martens,
journalist 9/21014), siehe untenstehender pdf-Download