Schuldig? Oder nicht? Diese Frage wird jeden Tag in vielen Gerichtssälen entschieden - von Richtern. Nach einer Verhandlung, deren Ablauf gesetzlich normiert ist. Und in der es Ankläger, Verteidiger und eben Richter gibt.
Was aber, wenn es um prominente Beschuldigte geht? Wenn die Vorwürfe brisant, der wahre Sachverhalt aber weder ermittelt noch juristisch eindeutig festgestellt worden ist? Wenn das (vermeintlich) öffentliche Interesse so groß ist, dass man das Ende eines langwierigen Gerichtsverfahrens nicht abwarten will?
Egal ob Kachelmann, Wulff, Edathy oder Hoeneß - die Öffentlichkeit hatte ihr Urteil schon gefällt, bevor die juristische Aufbereitung überhaupt begonnen hatte. Journalisten/innen hatten all das geliefert, was eine Meinungsbildung (vermeintlich) ermöglicht hatte.
Nicht erst seit diesen Affären steht der Vorwurf im Raum, dass manche Journalisten/innen ihre Funktion missbrauchen, indem sie sich als Ermittler, Ankläger und Richter betätigen. Der Vorwurf des Kampagnenjournalismus steht im Raum.
Alle Teilnehmer/innen dieser Auftaktveranstaltung zur Fachtagung "Presserecht für die journalistische Praxis" hatten mit den ausgesuchten Beispielfällen Wulff, Edathy und Kachelmann zu tun - sei es journalistisch oder juristisch. Doch die Diskussion, die Kontroverse behandelt Fragen, die über diese Fälle hinausgehen, die eher grundsätzlich sind, die das journalistische Ethos berühren. Und die auch all jene betreffen, die nicht über die bundesweit bekannten Fälle berichten (müssen?), sondern auf lokaler Ebene über Vorkommnisse bei sogenannten "Lokalgrößen".
Was ist journalistisch geboten, was erlaubt, wenn über Vorwürfe oder Affären berichtet wird? Wie ist die eigentlich zulässige "Verdachtsberichterstattung" definiert, wann sind die Grenzen des Zulässigen überschritten? Welche Rechte haben Betroffene, sich gegen Berichte zu wehren? Wie funktioniert das (nicht gerade seltene) Zusammenspiel von Anwälten und Journalisten/innen ? Lassen sich Journalisten/innen bisweilen auch von Staatsanwälten instrumentalisieren ? Ist der Vorwurf des "Kampagnenjournalismus" völlig absurd? Dürfen Medien Partei ergreifen? Worin besteht der Unterschied zwischen moralischen/politischen Vorwürfen und juristischen Feststellungen?
Wer definiert eigentlich das Leitbild des immer wieder beschworenen "objektiven Journalismus", wer kontrolliert die Regeln?
Es sind Fragen, die für den Journalismus elementar sind. Gerade in Zeiten, in denen viel von der "Glaubwürdigkeitskrise" der Medien die Rede ist, wo (von einigen) allzuschnell der Kampfbegriff "Lügenpresse" bei Demonstrationen gerufen wird. Gibt es Anlass zur medialen Selbstkritik - oder ist alles gut?
weiterführende Links
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"Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy" (Thomas Fischer)
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"Beschämt und verdammt" (Heribert Prantl)
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"Soziale Vernichtung eines Menschen" (Dieter Kassel, Ute Welty und Heribert Prantl)